Die Türkei nach dem Putschversuch

Füssen – Zu einer Veranstaltung zum Thema „Die Türkei nach dem gescheiterten Putsch“ hatte die Basisorganisation der LINKEN in Füssen in Lauras Schiffwirtschaft eingeladen gehabt. Als Referent sprach Erkan Dinar, Kommunalpolitiker und Landesvorstandsmitglied der LINKEN sowie Mitglied der Kurdisch-Deutschen Freundschaftsgesellschaft. Über 20 Interessierte folgten dem Vortrag.

Der 36-jährige Erkan Dinar hat nicht nur familiäre Bindungen in die Türkei, sondern war auch vor 4 Jahren in Istanbul und dokumentierte die Geschehnisse um den Gezi-Park hautnah auf seinem Blog. Die Zeit von damals prägt immer noch seine ehrenamtliche und politische Arbeit in Deutschland. Er sieht sich als Lobbyist der Bürgerrechte-, Demokratie- Friedensbewegung in der Türkei, schreibt an einem Buch, reist durch das Land und erzählt über die Lage und Situation der Menschen in der Türkei.

In seinem 45 Minuten dauernden Vortrag, ohne Vorlage, umriss er die Geschichte der Türkei, von der Staatsgründung, in den wirren Jahren nach dem 2. Weltkrieg bis zur Neuzeit. Als profunder Kenner von Staatspräsident Erdogan ging er auf seinen Werdegang ein. "Von einem Hoffnungsträger der Minderheiten hat er sich zu einem Despoten entwickelt, der mittlerweile über Leichen geht und bedingungslos seine Zwecke verfolgt", so Dinar.

Die Rechte von Minderheiten und der Demokratisierungsprozess zu Beginn der Ära Erdogan sei für viele Millionen Menschen ein Hoffnungsschimmer gewesen. Insbesondere die Kurdinnen und Kurden hätten ihn mit 70 Prozent gewählt. An der Spitze der Macht angekommen, scheint die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) jedoch die Machtinstrumente dafür zu nutzen, Gegner und Konkurrenten auszuschalten. Sein früherer Kompagnon Fethullah Gülen, ein islamistischer Prediger in den USA, sei ihm mit seinem Apparat und Personal nützlich gewesen. Nun seien sie sich spinnefeind, weil persönliche Befindlichkeiten zwischen ihnen stehen würden. Ideologische Unterschiede seien nur in Nuancen vorhanden.

Vor allem in Südost-Anatolien, also in den kurdischen Siedlungsgebieten, würde Erdogan bedingungslos gegen die Menschen vorgehen und sogar ganze Städte und Stadtteile ausradieren lassen. 560.000 Binnenflüchtlinge seien allein in den letzten 2 Jahren neu dazu gekommen. "Bereits vor dem verhinderten Putsch sind schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen zu verzeichnen gewesen, insbesondere seit der Verschärfung der von der Europäischen Union kritisierten Antiterrorgesetze im Jahr 2013. Seit dem 15. Juli liegt allerdings eine neue Dimension der Menschenrechtsverletzungen vor“, so Dinar.

Einen besonderen Fokus auf die Kurdenfrage und die Kontinuität im Umgang mit der Opposition konnte der türkischstämmige Erkan Dinar vom Landesverband der LINKEN ebenfalls beisteuern. Er erinnerte an das Leitmotiv „ein Land, eine Sprache, eine Fahne“, dass die Türkei seit der Gründungszeit der Republik begleitet und eine pluralistische Entwicklung unmöglich macht. Zwar waren insbesondere in den kurdischen Gebieten Menschenrechtsverletzungen stets Alltag, so Dinar. Neu ist, dass diese jetzt auf die gesamte Türkei ausgeweitet werden. Er betonte, die wichtige Rolle der Demokratischen Partei der Völker (HDP), die nicht nur für die Rechte der Kurden eintritt, sondern – auch unterstützt von der Linken – eine Heimat für Alle Menschen bietet, die für freiheitlich demokratische Werte einstehen.

Die Fragen aus dem Publikum beschäftigten sich schwerpunktmäßig mit Deutschlands Rolle und Aufgaben, nicht nur in Bezug auf die Integrationspolitik, sondern insbesondere auch auf die Außenpolitik.

Hier das Video zur Veranstaltung: https://www.youtube.com/watch?v=wolukHclu_Q